Liebe Leserin, lieber Leser,
Beuys hatte das mit dem erweiterten Kulturbegriff anders gemeint, aber er war ja nicht der Einzige, der die typisch deutsche Trennung von U- und E-Kultur für Blödsinn hält. In der bildenden Kunst versteht es etwa einer wie Gottfried Helnwein, nicht nur zwischen auf der Grenze zwischen Ernst und Unterhaltung zu balancieren, sondern auch zu provozieren, mit waffenstarrenden Kindern oder Hitler, der mit einer Minnie Mouse schäkert – zu sehen im Hagener Osthaus-Museum. Zwischen Vicky Leandros und der Rheinoper scheinen ebenfalls Welten zu liegen, aber bei uns sind sie vereint. Zumal es womöglich auch Menschen gibt, die sich für beide interessieren. Also dafür, warum die Rheinoper ihre Aufführungen demnächst kostenlos streamt (also gewissermaßen herschenkt) – und warum Vicky Leandros auf ihrer Abschiedstournee ist und in der Essener Philharmonie am Ende alle Leonard Cohens „Hallelujah“ anstimmen lässt. Weit entfernt von einem Abschied als Dortmunder „Tatort“-Kommissar Peter Faber ist Jörg Hartmann. Der Schauspieler, der in Herdecke aufgewachsen ist und so sicht- wie hörbar die Wärme des Ruhrpotts (oder die seiner Kindheit und Jugend darin) vermisst, hat seinen Eltern, seiner Heimat und auch seiner Schauspielkarriere ein kleines Denkmal gesetzt mit dem Buch „Der Lärm des Lebens“. Und er hat, wie er uns im Interview erzählte, gerade erst seinen „Tatort“-Vertrag verlängert. Verlängert wurden die letzten naturkundlichen Ausstellungen im Oberhausener Gasometer eigentlich immer – „Planet Ozean“, die neuste, die heute anläuft, geht also erst einmal bis zum 30. Dezember dieses Jahres. Die höchste Ausstellungshalle Europas wartet einmal mehr mit einer Mischung aus Wissen und Spektakel, Mahnung und Staunen auf. Und wenn das nicht Kultur ist, weiß ich‘s nicht! Vielleicht noch ein kleiner Tipp aus langjähriger Erfahrung: Ausstellungsbesuche lohnen sich oft besonders in den ersten Tagen. Die Menschen denken ja meist: Ach, die läuft noch lange, und am Anfang ist die Schau bestimmt total überrannt. Und dann geht es ihnen so, wie man in Jörg Hartmanns Buch lesen kann: Wer am Bahnhof wohnt, verpasst besonders oft den Zug, weil man denkt, man habe ja noch Zeit. Carpe diem ist auch Kultur – aber lassen Sie sich bitte nicht hetzen! Herzlich grüßend Ihr Jens Dirksen, Chef der WAZ-Kulturredaktion
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